Initiative plant Entscheid
Hagen. (ME) Soll die Stadt Hagen die Wohnungsgesellschaft HGW verkaufen oder
nicht? Falls die Verkaufsidee weiter verfolgt wird, ist eines schon jetzt klar:
die neue "Initiative zum Erhalt der HGW" will in einem solchen Fall
alle Möglichkeiten ausschöpfen, diesen Kauf zu verhindern. Notfalls
geht man bis zum Bürgerentscheid! Daran ließen Sprecher der Initiative
am Freitag keine Zweifel aufkommen.
Auf der anderen Seite formieren sich momentan ebenfalls die Reihen. Während
bis vor kurzem der Gedanke an einen HGW-Verkauf von vielen Politikern noch
eher tabuisiert wurde, kann man in diesen Tagen einen regelrechten Schneemann-Effekt
beobachten: die Zahl derer, die den Verkauf rundum ablehnen, schmilzt langsam,
aber stetig ab.
Und auch in dem kürzlich von der Stadt Hagen vorgelegten, sich mit radikalen
Spar-Ideen beschäftigenden "Katalog der Grausamkeiten" wird
erneut eine Veräußerung der HGW angedacht. Die 150 bis 200 Millionen
Euro, die man sich als Erlös erhofft, werden allerdings auf keinen Fall
in Gänze dem städtischen Haushalt zufließen. Denn die Schulden
der HGW und ihrer "Mutter" GIV (ihrerseits eine städtische "Tochter")
müssen abgezogen werden. Die Endsumme soll dann verwendet werden, um die
städtische Schuldenlast ein wenig zu drücken, was anschließend
wiederum zu einer gesenkten Tilgungsrate führen würde.
Hört sich alles logisch an. Und so setzt sich denn für einen baldigen
HGW-Verkauf unter anderem der FDP Fraktionsvorsitzende im Hagener Rat, Claus
Thielmann, ein. "Ohne diese Veräußerung können wir keinen
Etat-Ausgleich erzielen," glaubt er. Ähnlicher Auffassung ist auch
sein Kollege von der CDU, Christoph Gerbersmann. "Durch einen Verkauf
können wir einen großen Batzen Schulden abtragen, und wir erzielen
ferner eine Zinsentlastung in Höhe von etwa vier Millionen Euro jährlich," rechnet
Fraktionschef Gerbersmann vor.
Das sind Zahlen, die sein Parteifreund Klaus Budde, Geschäftsführender
Vorsitzender des Mietervereins, nicht gelten lassen will und als eine Art "Milchmädchenrechnung" sieht.
Budde geht davon aus, daß ein Verkauf an einen auswärtigen Investor
auf Dauer eher schädlich ist. Denn eine Veräußerung habe nicht
nur garantiert Auswirkungen auf das Mietgefüge in Hagen, sondern auch
auf hiesige Handwerksbetriebe. Alle Erfahrungen zeigten, daß ein Großinvestor,
wie er hier zum Zuge käme, auf örtliche Betriebe nur noch dann zurückgreife,
wenn er sie in Notfällen als eine Art "Feuerwehr" benötige.
Grundsätzliche Arbeiten hingegen würden meist von auswärtigen,
preiswerteren Kräften erledigt. Das bedeute am Ende geringere Steuereinnahmen
in Hagen und eine erhöhte Arbeitslosenzahl.
In die Front der Verkaufsgegner reiht sich auch der frühere Leiter des
Hagener Sozialamtes, Herbert Böcker, ein. Er schrieb dem wochenkurier: "Sicherlich
wird es auch sinnvoll sein, über die Privatisierung der HGW zu sprechen.
Eine wichtige Nagelprobe wird aber das Ergebnis der Diskussion sein. Völlig
falsch ist es, "Tafelsilber" zu verschleudern, das jährlich
Rendite bringt. Die Stadt hat offenbar über ihre Verhältnisse gelebt.
In dieser Situation ist es erforderlich, solche Ausgabenblöcke zu beschneiden,
die jährlich aufs neue Geld kosten und dazu noch freiwillig sind. Das
strukturelle Defizit der Stadt Hagen ist zu groß.
Einmalige Verkäufe helfen vielleicht im Augenblick. Aber auf Zeit werden
diese Einnahmen wieder verfrühstückt. Tafelsilber kann man nur einmal
verkaufen. Und auf die Fragen, die der Kommunalberater Christian Schultz, im
wk vom 13. Januar stellte, möchte ich wie folgt antworten:
1. (Steigen durch den Verkauf die Mieten?) Selbstverständlich ist ein
Investor kein Wohlfahrtsunternehmen. Er wird alles daransetzen, durch Verkauf
und höhere Mieteinnahmen sein eingesetztes Kapital zurückzubekommen
und auch noch eine vernünftige Rendite einzustreichen. Das ist in unserer
Gesellschaft übrigens auch nicht verboten. Bei öffentlich geförderten
Wohnungen kann der Gewinn über mangelhafte Instandhaltungsaufwendungen
erwirtschaftet werden.
2. (Verlieren durch den Verkauf Hagener Handwerker Aufträge?) Clevere
Investoren bringen ihre Reparaturkolonnen natürlich mit. Warum auch nicht?
Das örtliche Handwerk wird kaum eine Chance haben.
3. (Werden die Mieter durch die Pläne völlig verunsichert?) Natürlich
werden die Mieter durch den von den CDU-/FDP-Fraktionen geplanten Verkauf der
HGW verunsichert. Es wird überhaupt nicht bestritten, daß Verträge
sorgfältig ausgehandelt werden. Aber auch hier zeigen Beispiele in anderen
Städten, daß nach einer Schamfrist die Dinge ganz anders verlaufen.
Völlig vernachlässigt wird von Christian Schultz, daß eine
Stadt in der Größe Hagens geradezu die sozialpolitische Verpflichtung
hat, eigenen Wohnraum zu haben oder Wohnraum, den sie steuern kann, vorzuhalten.
Mag auch im Augenblick für bestimmte Wohnungsgrößen kein ausgeglichener
Markt vorhanden sein, so ist doch bekannt, daß sich die Wohnungswirtschaft
immer in Zyklen bewegt. Nach dem zur Zeit ausgeglichenen Wohnungsmarkt wird
wieder Wohnungsmangel."
Wochenkurier vom 20.01.2002